Zuletzt aktualisiert am 24. November 2022 um 15:03
Neues Molekül von Interesse für Forschung?
Wenn die Ergebnisse des aktuellen Tierversuchs beim Menschen repliziert werden, könnten die Ergebnisse neue Wege zur Behandlung von Depressionen eröffnen, dem weltweit häufigsten psychischen Gesundheitsproblem. Forschung könnte dann Histamin als ein „neues Molekül von Interesse“ bei Depressionen betrachten.
Entzündung ist ein Oberbegriff, der die Immunantwort beschreibt. Sie löst zunächst die Freisetzung von Histamin im Körper aus. Diese erhöht den Blutfluss zu den betroffenen Bereichen, um sie mit Immunzellen zu überfluten.
Während diese Effekte dem Körper helfen, Infektionen zu bekämpfen, werden sowohl langfristige als auch akute Entzündungen zunehmend mit Depressionen in Verbindung gebracht. Entzündungen gehen mit Infektionen einher, können aber auch durch Stress, allergische Reaktionen und eine Vielzahl chronischer Krankheiten wie Diabetes, Fettleibigkeit, Krebs und neurodegenerative Erkrankungen verursacht werden.
Der Hauptautor der Studie, Dr. Parastoo Hashemi vom Imperial Department of Bioengineering, sagte: „Entzündungen könnten eine große Rolle bei Depressionen spielen, und es gibt bereits deutliche Hinweise darauf, dass Patienten mit sowohl Depressionen als auch schweren Entzündungen am wahrscheinlichsten nicht auf Antidepressiva ansprechen.“
Die aktuelle Arbeit werfe ein Schlaglicht auf Histamin als potenziellen Hauptakteur bei Depressionen. Dies und seine Wechselwirkungen mit dem „Wohlfühlmolekül“ Serotonin könnten daher ein entscheidender neuer Weg zur Verbesserung von Serotonin-basierten Behandlungen von Depressionen sein.
Serotonin ist ein wichtiges Ziel für Medikamente zur Bekämpfung von Depressionen. Häufig verschriebene selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin im Gehirn, wodurch es länger in den Synapsen aktiv bleibt und so die Stimmung verbessern kann.
Obwohl SSRIs vielen, die sie einnehmen, Linderung verschaffen, sind immer mehr Menschen gegen ihre Wirkungen resistent. Forscher glauben, dass ein Grund dafür in den spezifischen Wechselwirkungen zwischen chemischen Botenstoffen (Neurotransmittern), einschließlich Serotonin und Histamin, liegen könnte.
Vor diesem Hintergrund machten sich Forscher in der aktuellen Studie daran, die Beziehung zwischen Histamin, Serotonin und SSRIs zu untersuchen.
Sie stellten Serotonin-messende Mikroelektroden her und setzten sie in den Hippocampus des Gehirns von lebenden Mäusen ein. Dieser Bereich des Gehirns ist dafür bekannt, die Stimmung zu regulieren. Die Technik, die als schnelle zyklische Voltammetrie (FSCV) bekannt ist, ermöglichte es den Forschern, den Serotoninspiegel im Gehirn in Echtzeit zu messen, ohne das Gehirn zu schädigen. Die Mikroelektroden sind biokompatibel und nur fünf Mikrometer breit sind.
Nach dem Anbringen der Mikroelektroden injizierten sie der Hälfte der Mäuse Lipopolysaccharid (LPS), ein entzündungsverursachendes Toxin, das in einigen Bakterien vorkommt. Die andere Hälfte der Mäuse erhielt eine Kochsalzlösung als Kontrolle.
Die Serotoninspiegel im Gehirn fielen innerhalb von Minuten nach der LPS-Injektion, während sie bei den Kontrollmäusen gleich blieben. Das zeigt, wie schnell sich entzündliche Reaktionen im Körper auf das Gehirn übertragen und Serotonin beeinflussen. LPS ist nicht in der Lage, die schützende Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und kann daher diesen Abfall nicht direkt verursacht haben.
Bei weiteren Untersuchungen stellten sie fest, dass das Histamin im Gehirn durch die Entzündungsreaktion ausgelöst wurde und die Freisetzung von Serotonin direkt hemmte, indem es sich an hemmende Rezeptoren auf den Serotonin-Neuronen anlagerte. Diese hemmenden Rezeptoren sind auch auf menschlichen Serotonin-Neuronen vorhanden, sodass sich dieser Effekt auf Menschen übertragen lassen könnte.
Um dem entgegenzuwirken, verabreichten die Forscher den Mäusen SSRIs. Allerdings konnten diese Antidepressiva den Serotoninspiegel nur unzureichend erhöhen. Selbst nach der Einnahme der SSRIs war der Serotoninspiegel bei den Mäusen mit Entzündung niedriger als bei den Kontrollmäusen.
Die Forscher verabreichten dann zusammen mit den SSRIs histaminreduzierende Medikamente, um den hemmenden Wirkungen von Histamin entgegenzuwirken. Das hatte zur Folge, dass die Serotoninspiegel wieder auf die Kontrollwerte anstiegen. Dies scheint die Theorie zu bestätigen, dass Histamin die Serotoninfreisetzung im Mausgehirn direkt dämpft.
Diese histaminreduzierenden Medikamente bewirken eine Verringerung von Histamin im ganzen Körper und unterscheiden sich von Antihistaminika, die bei Allergien eingenommen werden und die Wirkung von Histamin auf Neuronen blockieren.
Wenn die vorliegenden Studienergebnisse von Mäusen auf den Menschen übertragen werden können, könnten sie helfen, Depressionen durch die Messung von Serotonin und Histamin im menschlichen Gehirn zu diagnostizieren.
Sie sagen auch, dass die Ergebnisse neue Wege eröffnen, um Histamin als Erreger von Depressionen zu erforschen, einschließlich der potenziellen Entwicklung neuartiger Medikamente, die Histamin im Gehirn reduzieren.
Allerdings ist es derzeit nicht möglich, Mikroelektroden zu verwenden, um ähnliche Messungen im menschlichen Gehirn durchzuführen. Daher suchen die Forscher nun nach anderen Wegen, um eine Momentaufnahme des Gehirns zu erhalten. Dafür nehmen sie andere Organe unter die Lupe, die Serotonin und Histamin verwenden, beispielsweise den Darm.
Schmerzen, die mit Entzündungen einhergehen, können auch die Spiegel von Neurotransmittern verändern. Frühere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass diese Veränderungen in ähnlichen Modellen einige Minuten andauern. Allerdings hielt der in der aktuellen Studie gezeigte Serotoninabfall viel länger an, was Schmerzen als Grund für das Serotonin ausschließt.
Dr. Hashemi fügte hinzu: „Entzündungen sind eine Reaktion des ganzen Körpers und daher äußerst komplex. Depressionen sind ähnlich komplex, und die beteiligten Chemikalien werden auf vielfältige Weise sowohl von genetischen als auch von Umweltfaktoren beeinflusst.“
Daher müsse man sich komplexere Depressionsmodelle ansehen sowie Verhaltensweisen sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen, um ein vollständigeres Bild der Rolle von Histamin und Serotonin bei Depressionen zu erhalten.
Quelle:
Hersey, Melinda & Samaranayake, Srimal & Berger, Shane & Tavakoli, Navid & Mena, Sergio & Nijhout, H. & Reed, Michael & Best, Janet & Blakely, Randy & Reagan, Lawrence & Hashemi, Parastoo. (2021). Inflammation-Induced Histamine Impairs the Capacity of Escitalopram to Increase Hippocampal Extracellular Serotonin. The Journal of Neuroscience. 41. JN-RM. 10.1523/JNEUROSCI.2618-20.2021. (https://www.researchgate.net/publication/352109976_Inflammation-Induced_Histamine_Impairs_the_Capacity_of_Escitalopram_to_Increase_Hippocampal_Extracellular_Serotonin)