Zuletzt aktualisiert am 24. November 2022 um 15:39
Aktivierte Neuronen lösen Entzündung aus
Der Darm hat seine eigene Intelligenz – nicht nur wegen des Darmmikrobioms, sondern auch wegen des enterischen Nervensystems. Dies ist ein kompliziertes Netz aus Neuronen und Gliazellen, das unseren Darm umhüllt. Dieses komplexe Netzwerk besteht aus etwa 500 Millionen Neuronen, ungefähr zwei Drittel der Menge im Nervensystem einer Katze.
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Dieses „zweite Gehirn“ kontrolliert die Beweglichkeit des Darms, die Sekretion von Verdauungsenzymen und andere Stoffwechselprozesse. Die verschiedenen Zellen im enterischen Nervensystem kommunizieren über Neurotransmitter, genau wie das Gehirn im Kopf.
Beide Gehirne existieren jedoch nicht unabhängig voneinander, sondern tauschen sich ständig aus. Der Darm kann das Gehirn beeinflussen und umgekehrt. Dabei entstehen Rückkopplungsschleifen. Die aktuelle Studie an Mäusen stellt fest, dass Gehirn und Darm während einer Entzündung des Verdauungstrakts besonders eng zusammenarbeiten.
Die Wissenschaftler induzierten Entzündungen im Dickdarm oder Bauch von Mäusen. Diese Tiere wurden gentechnisch so verändert, dass in aktiven Neuronen ein fluoreszierendes Markermolekül aufleuchtet. Tatsächlich erschienen Neonfarben in Teilen der Mäusegehirne.
Das belegt den Zusammenhang zwischen einer Darmentzündung und einer bestimmten Art von Gehirnaktivität. Um die Wirkung dieser aktiven Gehirnzellen herauszufinden, verwendeten die Forscher erneut die Mäuse. Nach einer Erholungsphase reaktivierten die Wissenschaftler diese mit Darmentzündungen verbundenen Neuronen durch einen künstlichen Virus.
Die Darmentzündung kehrte zurück, auch, ohne dass die Forscher den Darm der Mäuse manipuliert hatten. Deshalb beschäftigten sich die Forscher intensiv mit den Details. Sie markierten die beteiligten Neuronen und stellten fest, dass sie Teil eines Netzwerks waren, das Gehirn- und Darmneuronen verband.
Eine Frage lautete: Wenn diese Neuronen als Ursache für Entzündungen in Frage kommen, könnte eine Blockade dieser Nervenzellen Darmentzündungen verhindern? Die Antwort – zumindest bei den Mäusen – scheint ein bedingtes Ja zu sein.
Mit einem anderen gentechnisch veränderten Virus konnten die Forscher die Aktivität bestimmter Neuronen ausschalten. Als sie die Darmentzündungsneuronen blockierten und bei den Mäusen eine Darmentzündung auslösten, war diese Entzündung weniger schwerwiegend.
Allerdings verhinderte dies die Entzündung nicht vollständig. Auch im Darm spielen lokale Ereignisse offensichtlich eine Rolle. Dennoch schwächte das Blockieren der Neuronen die Entzündung signifikant ab.
Die Autoren schließen daraus, dass das Gehirn spezifische Immunantworten speichern und abrufen kann. Dadurch kann das klassische Konzept des immunologischen Gedächtnisses auf neuronale Repräsentationen von Entzündungsinformationen erweitert werden.
Dennoch bleiben Fragen offen:
- Mit welchen Botenstoffen kommunizieren diese Gehirn- und Darmneuronen?
- Wie reagiert das Immunsystem auf diese Aktivitäten?
- Interagieren die Nervenzellen direkt mit an Entzündungen beteiligten Immunzellen oder gibt es einen molekularen Mittelsmann?
Quelle:
Koren, Tamar & Yifa, Re’ee & Amer, Mariam & Krot, Maria & Boshnak, Nadia & Ben-Shaanan, Tamar & Azulay-Debby, Hilla & Zalayat, Itay & Avishai, Eden & Hajjo, Haitham & Schiller, Maya & Haykin, Hedva & Korin, Ben & Farfara, Dorit & Hakim, Fahed & Kobiler, Oren & Rosenblum, Kobi & Rolls, Asya. (2021). Insular cortex neurons encode and retrieve specific immune responses. Cell. 184. 10.1016/j.cell.2021.10.013. (https://www.researchgate.net/publication/356017543_Insular_cortex_neurons_encode_and_retrieve_specific_immune_responses)